Hätte Aristoteles gekocht, hätte er mehr geschrieben.
(Juana Ines de la Cruz)

Freitag, 7. Januar 2011

Grundlagen der mexikanischen Küche (9): Die «chicas» von Ciudad de Mexico

Um da mal ein paar Missverständnisse aus dem Weg zu räumen: Nein, Chili con carne ist nicht das mexikanische Nationalgericht. Es mag dies Bohnenfutter durchaus geben in Mexiko, aber nur in amerikanischen Restaurants; ein Mexikaner würde sich solches nicht antun. Und auch sonst gibt es ein paar Unklarheiten: Ein Taco ist in Mexiko kein knallhartes Chips aus Mais, sondern eine frische Tortilla, schön weich und am besten noch warm, gefüllt mit Fleisch, Fisch, Gemüse, Käse (dann heisst es Quesadilla), ganz nach Gusto. In Europa nennt man die gefüllten «weichen» Tortillas meist Fajita, in den USA heissen sie «Burrito» - solches kennt der Mexikaner zwar auch, meint aber etwas ganz anderes. Für ihn ist der Taco der Quell des Lebens, Tacos gibt es den ganzen Tag, immer, überall, der Mexikaner liebt seinen Taco, und wenn er mal seinen liebsten Strassenverkäufer gefunden hat, dann bleibt er diesem gerne sein Leben lang treu.

Ein Taco ist die mexikanische Form von «Fast Food». Doch sonst ist die mexikanische Küche ungewöhnlich aufwendig - und wird unterschätzt. Lange, bevor die Franzosen auf die gleiche Idee kamen, hatten die Mexikaner bei der UNESCO schon den Antrag gestellt, dass ihre Küche zum Weltkulturerbe erklärt werden muss. Und das nicht zu Unrecht: Mit Ausnahme vielleicht der thailändischen gibt es kaum mehr Landesküchen, die derart speziell, ungewöhnlich und eigenständig sind wie die mexikanische. Es konnten viele Eigenheiten aus der prä-kolonialenZeit bewahrt werden, von den Azteken, Maya, Zapoteken, Raramuri, doch die zusätzlichen Einflüsse aus Spanien, Frankreich, aber auch aus dem arabischen und karibischen Raum gaben der ganzen Geschichte das gewisse Etwas. Dazu kommt, dass Mexiko die Heimat vieler heute beliebter Produkte ist, von Kakao und Vanille etwa, aber auch Tomaten, Mais, Chili, Erdnüsse, Avocado oder der Truthahn stammen aus dem mexikanischen Raum. Dass die Küchen in einem Land mit knapp zwei Millionen Quadratkilometern (sechsmal so gross wie Deutschland) und über 12'000 Kilometern Küstenlinie von Norden nach Süden natürlich stark unterschiedlich sind, das versteht sich von selbst.

Den besten Überblick über die mexikanische Küche erhält man sicher in Mexiko-Stadt, Ciudad de Mexico, und der an den Hauptstadtbezirk (Distrito Federal, von den Mexikanern DF genannt) angrenzenden «Zona Metropolitana del Valle de Mexico». Gut 20 Millionen Menschen leben hier - «chilangos», wie sie von den restlichen Mexikanern despektierlich bezeichnet werden -, was Mexiko-Stadt zu einer der grössten Metropolen der Welt macht. Ein unglaublicher Moloch - in dem die Frauen die Gastronomie beherrschen.

«Titita» ist die Köngin. Seit mehr als 30 Jahren führt Carmen Ramirez Degollado ihr Restaurant «El Bajio» im Stadtteil Azcapotzalco; keine schicke Adresse wie Condesa oder Polanco, und wer sich hier in den wenig gastlichen Norden der Stadt verirrt, dem steht der Sinn nach Abenteuer. Auch auf dem Teller: «Titita» serviert die ganz klassische mexikanische Küche. Die 73-jährige, in edler Würde gealterte Dame, die in ihren traditionellen, sehr farbigen Gewändern durch ihr wunderbar eingerichtetes Lokal stolziert, hat ihr Restaurant zwar nach der Region «Bajio», dem Tiefland rund um die Städte Guanajuato und Queretaro, benannt, doch sie selber stammt aus Veracruz, einer tropisch-heissen Stadt im Süden. Und so kommt denn ein fröhliches Gemisch an Einflüssen aus der Küche. Berühmt sind etwa die «carnitas» (eine kleine Ewigkeit gegartes Schweinefleisch, vergleichbar mit Siedfleisch) oder «barbacoa» (das ganze Lamm wird in Stücke geschnitten und zu einer dicken Suppe verarbeitet; manchmal grüsst auch noch ein Auge...), und es gibt Dutzende Varianten von «empanadas» (gefüllte Tortillas), «chile rellenos» (gefüllte Chili; aber nicht vergleichbar mit profanen Peperoni mit gemeinem Hackfleisch), «mole» (eine spezielle, sehr dicke Sauce mit der eigenartigen Mischung aus Chili und Schokolade...). Das Studium der Karte dauert eine kleine Ewigkeit, und immer wieder gräbt «Titita» aus alten Kochbüchern neue Gerichte aus, die sie den Gästen nicht vorenthalten will. Bestelle drei, erhalte fünf - es ist eine wunderbare Warmherzigkeit, mit der «Titita» ihr Lokal erfüllt. Und sie liebt ausländische Gäste, denen sie mit Händen und Füssen und vielen, vielen Worten alles erklären will.

Bedeutend strenger ist da Patricia Quintana. Sie ist nicht die Königin, aber dafür der Superstar unter den mexikanischen Köchinnen; sie schreibt Bücher, tritt im Fernsehen auf, reist um die Welt, und gilt als einer der wenigen weiblichen Chefs, die es global in die oberste Liga geschafft haben. Gelernt hat sie unter anderem beim göttlichen Fredy Girardet - und heute verbindet sie traditionelle mexikanische Rezepte auf wundersame Weise mit modernsten Techniken und Einflüssen aus aller Welt. Ihr «Izote» im schicken Stadtteil Condesa ist sehr schick, sehr cool - und sehr teuer, nicht nur für mexikanische Verhältnisse. So zickig sie auch manchmal ist, doch wenn sie zur Vorspeise eine Variation von Tamales (eigentlich: ein Maisteig mit Füllung, umhüllt und gekocht in einem Bananenblatt), de queso con epazote, de flor de calabaza, de cuitlacoche, de chanchimitos und de pollo con jitomate auf den Tisch stellt, dann ist man gleich wieder beruhigt. Wie wärs mit «Cordero al vapor en hoja de platano con salsa borracha, salsa de chile mora, salsa verde cruda y salsa de chile ancho con jugo de naranja y tomatillo de milpa con chile de arbol»? Ein im Bananenblatt gedämpftes Lamm mit vier Saucen, drei davon von unterschiedlichen Chili, die dem zarten Fleisch jeweils neue, ganz überraschende Geschmacksnoten entlocken können.

Und so gehen wir weiter zu Gabriela Camara. Gaby ist die hübsche, clevere Prinzessin unter den mexikanischen Gastronominnen. Studiert hat sie Wirtschaft, 1998 eröffnete sie, gerade einmal 22-jährig, ihr erstes Restaurant, das «Contramar», unterdessen sind es sieben, und es werden in DF sowie Guadalajara 35'000 Gäste pro Monat bestens bedient. Camara bezeichnet sich nur als Hobby-Köchin, doch alle Rezepte stammen von ihr; wie bei «Titita» und Quintana basiert ihre Köche auf den langen mexikanischen Traditionen sowie sauberem Handwerk mit qualitativ besten Produkten, doch ihr Erfolgsgeheimnis ist die leichte Verständlichkeit. Der Fisch soll ein Fisch bleiben (auf dem zweitgrössten Fischmarkt der Welt gibt es ja auch die entsprechende Auswahl) und das Fleisch als solches erkennbar, alles ist luftig und leicht, der japanische Einfluss ist gross und erfreulich, schwer verdauliche «mole» oder unendlich aufwendige Geschichten wie «chiles en nogada» (gefüllte Chili mit einer Sauce von Walnüssen und Granatapfelkernen) gibt es bei ihr nicht. Ihre Tostadas de Atun sind ein Traum, süchtigmachend, es gibt fantastische Tacos de Jaiba (Tortillas mit Krebsfleisch) und einen unglaublichen Salpicon de mariscos (Meeresfrüchtesalat).

Und warum beherrschen die Frauen das Geschäft in Mexiko, dem Geburtsland des Machismo? «Titita» sagt: «Wir haben es halt von unseren Müttern gelernt.» Quintana meint, es sei die Geduld, die den Unterschied mache. Und Camara, die Erfolgreiche, will sich die Frage gar nicht erst stellen, sondern wälzt Pläne für ein achtes, neuntes Lokal, und eines in den USA, um auch dort endlich die authentische mexikanische Küche bekannt zu machen.

Eine Name muss unbedingt erwähnt sein, wenn es um die mexikanische Küche geht: Diana Kennedy. Die gebürtige Engländerin lebt seit 51 Jahren in Mexiko - und hat mit einer ganzen Reihe von ausgezeichneten Reiseberichten und Kochbüchern dafür gesorgt, dass viele traditionelle mexikanische Gerichte nicht vergessen gingen. Leider sind ihre Werke nur auf Spanisch und Englisch erhältlich, doch wer etwas über die grossartige Esskultur dieses grossartigen Landes lernen will, dem sei die - auch sehr spannende - Lektüre etwa von «My Mexico» (1998, Clarkson Potter Publishers, New York) empfohlen. Die beste Rezeptsammlung findet sich in «The Essential Cuisines of Mexico» (2000, Clarkson Potter Publishers, New York).



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen