Hätte Aristoteles gekocht, hätte er mehr geschrieben.
(Juana Ines de la Cruz)

Donnerstag, 30. Dezember 2010

Grundlagen der mexikanischen Küche (3): Das Gericht der Engel




Bis auf die Lycopersion pimpinellifolium, die etwa so gross ist wie eine Johannisbeere, entstammen sämtliche Tomatensorten der Art Lycopersion esculentum. Es gibt da noch den Tomatillo, Physalis ixocarpa, das wie eine kleine Tomate heisst, auch so aussieht und in der mexikanischen Küche eine wichtige Rolle spielt. Die Ähnlichkeit der Bezeichnungen beruht allerdings darauf, dass die spanischen Konquistadoren (einmal mehr) nicht richtig zuhörten, was ihnen die Azteken zu sagen hatten: die bezeichneten die Tomate nämlich als «tomatl», den Tomatillo aber als «miltomatl».

Der Tomatillo, dem man aus unerfindlichen Gründen auch Schalentomate sagt, entfaltet sein Aroma erst im gegarten Zustand, dann ist sein Geschmack frischer, zitroniger als der einer Tomate - man verwendet ihn deswegen auch hauptsähclich für Saucen. Mehr gibt es zum Tomatillo nicht zu schreiben.; über die Tomate dagegen wurden schon diverse Bücher verfasst, was durchaus Sinn macht, denn allein schon die Geschichte, bis der Tomate ausserhalb von Lateinamerika endlich die Achtung entgegen gebracht wurde, die sie auch verdient, liest sich wie ein Roman. Die schönste Ode an die Tomate, die hat der Chilene Pablo Neruda verfasst; so recht trauen wir ihm aber nicht, denn er hat auch eine Ode an die Pommes frites geschrieben.

Zurück zur Geschichte. Früher sahen Tomaten nämlich ganz anders aus. Die glatthäutigen Exemplare, wie wir sie kennen und wie sie auch in der mexikanischen Küche verwendet werden, gibt es erst seit 1723. Gezüchtet hat sie ein Italiener, selbstverständlich musste es ein Italiener sein, denn die Italiener haben als einzige Europäer schon früh erkannt, welchen Schatz sie da vor sich haben. Ausserhalb von Mexiko und Italien werden Tomaten nämlich erst seit dem 20. Jahrhundert in grösseren Mengen verspiesen. Und die beiden Länder, deren Küche so stark von der Tomate beeinflusst ist (und die auch die gleichen Landesfarben haben), gehören nicht einmal zu den wichtigsten Produzenten, diese Rangliste führen die Chinesen an, wieder einmal sie, mit grossem Abstand. Es folgen die Amerikaner, Indien, Ägypten und die Türkei.

Es sollen hier ja keine Vorurteile gewälzt werden, aber China, Amerika, Indien, nun, das tut der Tomate per se nicht gut. Doch es gibt seit einigen Jahren auch wieder Lebenszeichen der schmackhaften Tomate, die nicht einfach ein rotes Ding ist, das zwar eine schöne Farbe, aber keinen Geschmack hat. Auch in Mexiko kommt man wieder zurück zu den einheimischen Gewächsen, besonders gut m Geschmack ist die winzige Cuatomate. Meist werden in der Küche aber die länglichen Jitomates Guajes sowie die grossen, runden Tomates de Bola verwendet. Eine typisch mexikanische Eigenheit ist auch, dass rote und grüne Tomaten zusammengekocht werden, damit die Sauce nicht zu süss wird.

Für eines der berühmtesten mexikanischen Gerichte, Mole, sind die Tomaten wesentlich. Den Mole - das Wort kommt aus dem Nahuatl, «molli», und bedeutet ganz einfach: ein Gemisch - gibt es in den verschiedensten Varianten (berühmt etwa: Guacamole), prinzipiell ist es einfach eine dicke, würzige Sauce. Einige dieser Saucen verdanken ihre Berühmtheit nicht der Tomate, sondern der Beimischung von - Schokolade.

El Mole Poblano, ein mexikanisches Nationalgericht, die wahre Herausforderung an eine jede Köchin, soll von einer Schwester Andrea erfunden worden sein, die dem Bischof bei einem Besuch des Konvents von Santa Rosa ein ganz besonderes Gericht vorsetzen wollte. Man braucht dafür neben Tomaten einen Truthahn, drei verschiedene Chilies, Rüben, viel Knoblauch und Zwiebeln, frischen Pfeffer, Koriander, Anis, Zimt, Sesam, Mandeln, Rosinen, Kürbiskerne, eine kleine Tortilla (ohne Tortilla geht in Mexiko gar nichts), getrocknetes Brot, ein wenig von der schon erwähnten Schokolade - und ganz viel Geduld. Andere Quellen sprechen davon, dass es Engel gewesen sein müssen, welche diesen Mole in seiner einmaligen Zusammensetzung kreiert haben - sicher ist nur, dass der Mole Poblano seit dem 17- Jahrhundert existiert und eine der ungewöhnlichsten Mischungen von Zutaten aus der Alten und Neuen Welt darstellt. Für den europäischen Gaumen ist das Gericht doch reichlich gewöhnungsbedürftig.

Mole de Olla, ein feines Süppchen, dem gerne auch Xoconstle, gesäuerter Thunfisch beigefügt wird, ist ein anderes berühmtes Mole-Gericht. Mole Verde verwendet Tomatillos und ist eine der eigentlich zu jeder Mahlzeit servierten Saucen.

Überhaupt die Saucen. Ohne können und wollen die Mexikaner gar nicht sein, und die meisten basieren irgendwie auf Tomaten; den Mexikaner im Ausland erkennt man daran, dass er immer eine Flasche «Valentina» dabei hat. ohne dieses scharfe Zeug kann er gar nicht überleben, würde vor lauter Heimweh umkommen, und er tropft es sich deshalb schon morgens mangels Huevos rancheros (Rührei nach Bauernart, mit jeder Menge Chilies) aufs Brötchen. Und dann ist da noch der rote Reis, bei dem die Tomaten nicht nur für die Farbe zuständig sind, den mag der Mexikaner so gerne wie der Japaner sein bleiches Korn.

Der Beginn: Die Grundlagen der mexikanischen Küche (1): Das Wunder der Vielfalt
Dann: Die Grundlagen der mexikanischen Küche (2): Kein Essen ohne Tortilla
Weiter: Die Grundlagen der mexikanischen Küche (4): Vom Hodenbaum und Wanzen
Mehr: Die Grundlagen der mexikanischen Küche (5): Scharf ist, was zwei Mal brennt
Noch mehr: Die Grundlagen der mexikanischen Küche (6): Cacahuacuauhuitl?
Und noch mehr: Die Grundlagen der mexikanischen Küche (7): Vom Trinken zum Essen
Und noch mehr: Die Grundlagen der mexikanischen Küche (8): «Tequila ist Mexico»
Und: Die Grundlagen der mexikanischen Küche (9): Die «chicas» von Ciudad de Mexico

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen