Hätte Aristoteles gekocht, hätte er mehr geschrieben.
(Juana Ines de la Cruz)

Freitag, 31. Dezember 2010

Grundlagen der mexikanischen Küche (4): Vom Hoden-Baum und Wanzen



Die Avocado hat viele Namen. Neben dem lateinischen «persea americana» heisst sie auch Avocadobirne, Advokatenbirne und sogar Alligatorbirne. Die letzteren Bezeichnungen sind natürlich Verballhornungen. Avocado stammt aber vom Nahuatl-Wort «ahuacatl» ab. Das ist eine Abkürzung für «ahuacacuahatl», einen aztekischen Begriff, der «Hodenbaum» bedeutet. Die Erklärung: Avocados wachsen immer paarweise.

Keine Früchte sind so reich an Protein wie Avocados. Wenn sie reif sind, bestehen sie zu 30 Prozent aus Öl. Dazu ist zu bemerken, dass in Europa nur selten reife Avocados zu kaufen sind. Das ist an sich keine Katastgrophe, denn die Avocado reift nicht am Baum, sondern erst nachdem sie gepflückt wurde. Am besten reift sie, in Zeitungspapier gewickelt, bei Zimmertemperatur nach. Ist sie dann reif und weich, hält sie sich gut noch einige Tage im Kühlschrank. Es gibt heute etwa 500 Sorten von Avocados. Jene aus dem hiesigen Angebot stammen aber leider kaum aus Mexico, sondern meist aus Israel.

Bei einem der berühmtesten mexikanischen Gerichte, der Guacamole, schliesst sich ein Kreis: Das Wort Guacamole kommt wieder aus dem Nahuatl und ist eine Mischung aus dem «ahuacatl» und der «molli», dem Gemisch - also eine Komposition aus und mit Avocado. Und die Guacamole ist eine schöne Mischung, auch optisch, aus dem sanften Pastellgrün der Avocados, dem dunkleren Grün des Korianders und dem ruhige Rot der Tomaten. Was es sonst noch für eine klassische Guacamole braucht: fein geschnittene Zwiebeln, ebenso fein geschnittene und nicht zu scharfe Chilis sowie Salz. Diese Zutaten werden zuerst zusammen mit dem Koriander zu einer Paste verarbeitet. Dann werden die Avocados dazugedrückt. Und das heisst wirklich gedrückt, denn Avocados gehören nie und nimmer in den Mixer. Man zerdrückt sie mit einer Gabel oder einem Löffel. Zum Schluss werden die Tomaten hinzugegeben.

Die Guacamole wird in Mexiko immer frisch zubereitet und sofort nach der Zubereitung auf den Tisch gebracht, denn sie kann sich schon nach wenigen Minuten unappetitlich verfärben. Da hilft auch das Beträufeln mit Zitrone nichts. «Der Kartoffelstock wartet nicht auf den Gast, sondern der Gast auf den Kartoffelstock» hiess es beim französischen Philosophen Brillat Savarin. Dieser Satz trifft gewiss auch auf die Guacamole zu. Zur Verwendung von Zitronensaft kann im Allgemeinen gesagt werden, dass er  den Geschmack der köstlichsten Gerichte verderben kann. Das gilt im Besonderen für die Guacamole und in höchstem Masse auch für Fisch.

In Mexico geniesst man zur Guacamole natürlich Tortillas, aber auch Chicarron. Das ist knusprig gebratene Schweeinehaut, die man gern in den Avocado-Dip taucht. Sehr gut schmeckt auch die Avocadosuppe, für die jeder mexikanische ein eigenes Rezept hat. Die Avocado kann auch einen Salat verfeinern. Die mexikanische Küche verwendet ausserdem die getrockneten Blätter des Avocadobaumes als Gewürz. Dieses duftet leicht nach Anis.

Dass die Guacamole - ihres uralten Namens zum Trotz - in der heutigen Form kein Gericht sein kann, das die mexikanischen Ureinwohner zu sich nahmen, merkt man am Koriander. Dieser ist zwar charakteristisch für die mexikanische  Küche, doch als eines der ersten überhaupt von Menschen verwendeten Gewürze kam der Coriandrum Sativum erst mit den spanischen Konquistadoren in die Neue Welt. Weshalb die Einheimischen dieses Kraut so sehr in ihr Herz schlossen, ist nicht zu erklären. Gut möglich, dass die Spanier es ihnen einfach aufgedrängt hatten. Das Wort Koriander kommt aus dem Griechischen: «Koris» bedeutet Wanze. Dies macht verständlich, warum Koriander in der deutschen Sprache gern auch als Wanzendill bezeichnet wird. Die mexikanische Küche verwendet sowohl die Blätter, die Stengel und, wenn auch seltener, die Samen.

Wer keinen Koriander, Cilantro, mag, der wird Schwierigkeiten haben, sich für die mexikanische Küche zu begeistern. Wer ihn hingegen liebt, für den gibt es so paradiesische Gerichte wie den berühmten «Pescado en Cilantro». Das ist ein in Mexiko häufig servierter Fisch in Koriander, für den man einen halben Kochtopf voll Korianderblätter und -stengel braucht. Koriander sollte man mitsamt Wurzeln kaufen. Dann hält er sich länger.

Also, hier die Guacamole auch noch als Rezept:

Reicht für eine anständige Portion:
3 grosse Avocados (mind. 600 g)
2 Esslöffel fein gehackte Zwiebel (weiss)
4 Serrano-Chilies, fein gehackt
3 Esslöffel fein gehackter Korinander
etwa 150 g fein geschnittene Tomaten
Salz

Für die Dekoration:
Noch ein Teelöffel fein gehackte Zwiebel (weiss)
Noch zwei Esslöffel fein gehackter Koriander

Zwiebel, Chilies, Koriander zusammenmischen und mit Salz abschmecken.
Die Avocados halbieren, den Stein entfernen - und das Avocado-Fleisch aus den Schalen drücken. Mit einer Gabel zerdrücken (es soll kein Mus sein!), die Zwiebel-Chili-Koriander-Mischung sowie die Tomaten dazugeben. Gut durchmischen. Mit Zwiebel und Koriander dekorieren. Sofort servieren - eine Guacamole gehört auf keinen Fall in den Kühlschrank.

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