Hätte Aristoteles gekocht, hätte er mehr geschrieben.
(Juana Ines de la Cruz)

Mittwoch, 29. Dezember 2010

Grundlagen der mexikanischen Küche (2): Kein Essen ohne Tortilla



Mais (zea mays) ist das einzige Getreide und wohl überhaupt das einzige Nahrungsmittel vegetabilischer oder animalischer Natur, das sich nicht ohne menschliche Hilfe fortpflanzen kann - würde der Mensch nicht den Maiskolben öffnen und die Körner säen, so würde der Mais von einem Jahr zum anderen aussterben. Zwar glaubt man mittlerweile, in Mexiko eine 7000 Jahre alte Wildform des Maises gefunden zu haben, doch es bleibt ein Rätsel, wie diese Pflanze entstehen und dann auch noch überleben konnte.

Als der spanische Eroberer Cortez im November 1519 die Bekanntschaft von Moctezuma II. Xocoyotzin (ja, das ist der, der uns die berühmte Rache Montezumas geschenkt hat), kannte dieser Tortillas - genannt tlaxcalli: Mais war in Mexiko im Überfluss vorhanden und wurde sogar am Strassenrand angebaut, damit sich die Armen bedienen konnten.

Dermassen beliebt wie in Mittel- und Südamerika, wo Mais mehr noch als Kartoffeln das Grundnahrungsmittel ist, wurde Mais in anderen Gegenden der Welt allerdings nie - irische Armenhäusler revoltierten gar, als man ihnen nach der schrecklichen Kartoffelfäule 1845 Maisbrei vorsetzen wollte. Die Mexikaner dagegen können sich ein Leben ohne Mais gar nicht vorstellen: Ohne Mais keine Tortilla, und ohne Tortilla - aber wir wollen an dieser Stelle nicht spekulieren. Im Jahresschnitt isst jeder Mexikaner über 100 Kilo Tortillas. Doch damit nicht genug: In den USA sind Tortillas hinter Weissbrot das am meisten verkaufte Brotprodukt, Tendez rapide steigend. Im Jahr 2000 waren in den USA noch für knapp über 500 Mio. Dollar Tortilla-Produkte verkauft worden, 2007 belief sich das Markt-Volumen schon auf gut 2,5 Mrd. Dollar.

Die Zubereitung einer Tortilla ist ganz einfach - zumindest in der Theorie. Zuerst macht man einen Teig, indem man die Maiskörner leicht röstet und kurz in einer Lösung aus ungelöschtem Kalk und Wasser kocht. Dieser Prozess heisst Nixtamalisation, verbessert den Nährwert des Maises und macht es überhaupt möglich, dass aus diesem Teig ein Flachbrot entstehen kann (so ganz nebenbei gilt die Nixtamalisation als eine der wichtigsten Erfindungen der mesoamerikanischen Zivilisation; in Europa hat dieser Prozess bis heute keinerlei Bedeutung). Der Teig nun, Masa genannt, wird von Hand geformt, flach ausgelegt, ausgewalzt, gedrückt, wie man will, und auf einer Art Kuchenblech, am besten einer echten mexikanischen Comal, gebacken. Kleine, braune Punkte soll sie haben, schön weich soll sie sein.

Wie lange eine Tortilla gebacken wird, wieviel Wasser für die Zubereitung des Teigs benötigt wird: In Mexiko würde man sagen «lo necesario», so viel es halt braucht. Ausser in Mexiko nimmt sich niemand die Mühe, eine echte, frische Tortilla zuzubereiten, hierzulande kauft man sie im Reformhaus (und so schmeckt sie dann auch). Auch gibt es die so genannte Masa harina, eine Art Maismehl, aber mit normalem Maismehl gelingt eine Tortilla so gut wie nie, dann verwendet man besser eine Mischung aus Mais- und Weizenmehl - was kein Verbrechen gegen die mexikanische Kochkultur darstellt, im Norden des Landes werden ausgezeichnete Tortillas nur aus Weizenmehl hergestellt.

Eine besonders gute Mais-Tortilla ist fast durchsichtig, in der Provinz Oaxaca ist man besonders stolz auf die besonders dünnen Tortillas, während man sie in Guadalajara je dicker, je lieber hat. Eine Tortilla isst man auch dann, wenn man gar keinen Hunger mehr hat; sie hilft bei der Verdauung. Ausserdem kann man sie als Löffel verwenden - und wenn es schnell gehen soll, dann dient sie auch als Teller. Serviert werden Tortillas so heiss wie möglich, man hält sie im Backofen warm, und immer, zu jedem Essen, morgens schon zum Frühstück, und auch spät nachts, wenn nur noch Bier und Tequila auf dem Tisch stehen, dann stehen da auch immer Tortillas und eine scharfe Sauce.

Weil man nun aber von der Tortilla allein nicht leben kann, haben die Mexikaner noch einige Abwandlungen erfunden. Tacos sind weiche, wunderbare, gefüllte und aufgerollte Tortillas (so wird das in Mexiko verstanden; in der in unseren Breitengraden bekannteren Tex-Mex-Küche sind Tacos vertrocknete, zähe Dinger, die man in unnötig scharfe Saucen dippt). Um alles noch unklarer zu machen: In Europa nennt man die gefüllten «weichen» Tortillas meist Fajitas, in den USA heissen sie «Burrito» (was in Mexiko wieder etwas ganz anderes ist, siehe weiter unten). . Für den Mexikaner ist der Taco der Quell des Lebens, Tacos gibt es den ganzen Tag, immer, überall, der Mexikaner liebt seinen Taco, und wenn er mal seinen liebsten Strassenverkäufer gefunden hat, dann bleibt er diesem gerne sein Leben lang treu. In Mexico-Stadt isst man den Taco am liebten «con cecina» (gebratenes Rindfleisch) oder «al pastor» (eine Art Kebab), an der Küste selbstverständlich mehr mit «camarones» (fritierte Crevetten).

Werden diese Tacos dann auch noch gebraten, nennt man sie Flautas, sind sie zusätzlich mit Fleisch und Gemüse gefüllt, dann werden sie zu Burritos (siehe auch weiter oben). Quesadillas bestehen aus gefüllten, zu Halbmonden gefalteten Tortillas - und sind auch gebraten. Bestreicht man eine gebratene Tortilla mit Bohnenmus und ziert das noch mit Fleisch-, Fisch- oder Geflügelstreifen, dann erhält man Tostadas. Enchilladas schliesslich sind Tortillas, die man mit einer roten oder grünen Tomatensauce bestreicht, dann brät und mit einer Füllung aufrollt.

Ach, da hätten wir fast noch die Totopos vergessen, auch Tostaditas genannt; kleine, knusprig gebratene Stück von den Tortillas von gestern, die man in Guacamole oder ein Bohnenmus oder in eine andere der für die mexikanische Küche so elementare Salsa dippt. Ein Stück weiter noch als die Tortilla und ihre Verwandten, elaborierter sind die Tamales, süss oder scharf, die früher immer der Höhepunkt einer Fiesta waren, heute aber an jeder Strassenecke zu kaufen sind.

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