Hätte Aristoteles gekocht, hätte er mehr geschrieben.
(Juana Ines de la Cruz)

Mittwoch, 22. Dezember 2010

Kürzlich, in einem Restaurant in Bern




Und dann schlief sie doch tatsächlich ein. Es hatte sich allerdings abgezeichnet: Schon beim Amuse-bouche waren dem Paar am Nebentisch die Gesprächsthemen ausgegangen. Sie hatten sich noch ein wenig übers Menu und die Qual der Wahl beim Wein unterhalten, bei der Vorspeise gab es immerhin noch ein fast gleichzeitiges «en guete» und ein «herrliches Wetter heute», doch dann war Funkstille. Fast. Sie stand irgendwann noch auf, ging zur Toilette, streichelte vorher und nachher den Haushund, «jö, liebä, jö, ja, äs Schätzeli, jö, än schönä bisch», er fragte nach der Hauptspeise noch, wo denn diese Toilette nun sei, was sie mit einer knappen Kopfbewegung beantwortete. Das Warten auf das Dessert war dann allerdings zu viel für Madame, gepflegt, gut gekleidet, wohl am Vormittag noch beim Friseur gewesen: Sie schloss die Augen, nach etwa zwei Minuten knickte ihr Kopf leicht weg, nach zwei weiteren Minuten war etwas zu vernehmen, was man durchaus als Schnarchen bezeichnen durfte. Und wenn wir hätten genauer hinschauen wollen, dann hätten wir wohl auch noch einen Faden Speichel in ihrem Mundwinkel gesehen. Wir taten das aber nicht, das sanfte Schnarchen war schon beste Unterhaltung genug.

Er sah das ganz gelassen. Mehr noch, er nutzte seinen Vorteil, nahm ihr Weinglas, schüttete dessen Inhalt in sein Glas. Und trank es ziemlich zügig leer.

Als sie durch eine ungeschickte Bewegung des sowieso ungeschickten Kellners, der das Dessert auf den Tisch stellen wollte, wieder geweckt wurde, da lächelte sie nur. Ihre Träume waren wohl süss gewesen. Dann wischte sie sich mit der Serviette den Mund ab. Er lächelte dann auch, sie sagten beide nichts. Wer nichts tut, macht auch nichts falsch. Kurz darauf verlangte er die Rechnung, nickte sie ab, dann gingen sie. Wortlos. Ohne ein Wort des Dankes oder des Grusses oder zueinander.

Eigentlich ist es ja bitter. Da haben Herr und Frau Schweizer hart gearbeitet, sich hochgedient, Kinder gezeugt und erzogen, das Häuschen abbezahlt, und jetzt, so nach 50 und vor 60, guter Lohn, finanzielle Sicherheit, Ruhe vor den Kindern und keine Angst vor der Pensionierung, jetzt also, wo sie sich nicht mehr mit Schnipogrüsa begnügen müssen und sie sich neben einer zweiten Vorspeise auch noch eine Flasche Wein zum Essen im (tiefen) dreistelligen Frankenbereich leisten können, da schläft Mutti ein. Und dem Vater ist es eigentlich nur recht so, anscheinend. Er säuft ihren Wein und sie seufzt im Schlaf.


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